Iason gelangte nicht zu dem Throne von Iolkos, um dessentwillen er die gefahrvolle Fahrt bestanden, Medea ihrem Vater
geraubt und an ihrem Bruder Absyrtos einen schändlichen Mord begangen hatte. Er mußte das Königreich dem Sohne des
Pelias, Akastos, überlassen und sich mit seiner jungen Gemahlin nach Korinth flüchten. Hier wohnte er zehn Jahre lang mit
ihr, und sie gebar ihm drei Söhne. Die beiden ältesten waren Zwillinge und hießen Thessalos und Alkimenes; der dritte,
Tisander, war viel jünger. Während jener Zeit war Medea nicht nur um ihrer Schönheit willen, sondern auch wegen ihres
edlen Sinnes und ihrer übrigen Vorzüge von ihrem Gatten geliebt und geehrt. Als aber später die Zeit die Reize ihrer Gestalt
allmählich vertilgte, wurde Iason von der Schönheit eines jungen Mädchens, der Tochter des Korintherkönigs Kreon, mit
Namen Glauke, entzündet und betört. Ohne daß seine Gattin darum wußte, warb er um die Jungfrau, und nachdem der
Vater eingewilligt und den Tag der Hochzeit bestimmt hatte, suchte er erst seine Gemahlin zu bewegen, daß sie freiwillig auf
die Ehe verzichten sollte. Er versicherte sie auch, daß er die neue Heirat nicht schließen wolle, weil er ihrer Liebe
überdrüssig sei, sondern aus Fürsorge für seine Kinder suche er in Verwandtschaft mit dem hohen Königshause zu treten.
Aber Medea ward entrüstet über diesen Antrag und rief zürnend die Götter an, als Zeugen seiner Schwüre. Iason achtete
dies nicht und vermählte sich mit der Königstochter. Verzweifelnd irrte Medea in dem Palaste ihres Gatten umher. »Wehe
mir«, rief sie, »möchte die Flamme des Himmels auf mein Haupt herniederzücken! Was soll ich länger leben? Möchte der
Tod sich meiner erbarmen! O Vater, o Vaterstadt, die ich schimpflich verlassen habe! O Bruder, den ich gemordet und
dessen Blut jetzt über mich kommt! Aber nicht an meinem Gatten Iason war es, mich zu strafen; für ihn habe ich gesündigt!
Göttin der Gerechtigkeit, mögest du ihn und sein junges Kebsweib verderben!«
Noch jammerte sie so, als Kreon, Iasons neuer Schwiegervater, im Palaste ihr begegnete. »Du finster Blickende, auf
deinen Gemahl Ergrimmte«, redete er sie an, »nimm deine Söhne an der Hand und verlaß mir mein Land auf der Stelle; ich
werde nicht nach Hause kehren, ehe ich dich über meine Grenzen gejagt.« Medea, ihren Zorn unterdrückend, sprach mit
gefaßter Stimme: »Warum fürchtest du ein Übel von mir, Kreon? Was hast du mir Böses getan, was warest du mir
schuldig? Du hast deine Tochter dem Manne gegeben, der dir gefallen hat. Was ging ich dich an? Nur meinen Gatten hasse
ich, der mir alles schuldig ist. Doch das ist geschehen; mögen sie als Gatten leben. Mich aber laßt in diesem Lande wohnen;
denn obgleich ich tief gekränkt bin, so will ich doch schweigen und den Mächtigeren mich unterwerfen.« Aber Kreon sah
ihr die Wut in den Augen an, er traute ihr nicht, obgleich sie seine Knie umschlang und ihn bei dem Namen der eigenen, ihr
so verhaßten Tochter Glauke beschwor. »Geh«, erwiderte er, »und befreie mich von Sorgen!« Da bat sie nur um einen
einzigen Tag Aufschub, um einen Weg zur Flucht und ein Asyl für ihre Kinder wählen zu können. »Meine Seele ist nicht
tyrannisch«, sprach da der König; »schon viel törichte Nachgiebigkeit habe ich aus falscher Scheu geübt. Auch jetzt fühle
ich, daß ich nicht weise handle; dennoch sei es dir gestattet, Weib.«
Als Medea die gewünschte Frist erhalten hatte, bemächtigte sich ihrer der Wahnsinn, und sie schritt zur Vollführung einer
Tat, die ihr wohl bisher dunkel im Geiste vorgeschwebt, an deren Möglichkeit sie jedoch selbst nicht geglaubt hatte.
Dennoch machte sie vorher einen letzten Versuch, ihren Gatten von seinem Unrecht und seinem Frevel zu überzeugen. Sie
trat vor ihn und sprach zu ihm: »O du schlimmster aller Männer, du hast mich verraten, hast einen neuen Ehebund
eingegangen, während du doch Kinder hast. Wärest du kinderlos, so wollte ich dir verzeihen; du hättest eine Ausrede. So
bist du unentschuldbar; ich weiß nicht, meinst du, die Götter, die damals herrschten, als du mir Treue versprachest, regieren
nicht mehr, oder es seien den Menschen neue Gesetze für ihre Handlungen gegeben worden, daß du glaubst, meineidig
werden zu dürfen? Sage mir, ich will dich fragen, als wenn du mein Freund wärest: wohin rätst du mir zu gehen? Schickst
du mich zurück in meines Vaters Haus, den ich verraten, dem ich den Sohn getötet habe, dir zulieb? Oder welche andere
Zuflucht weißt du für mich? Fürwahr, es wird ein herrlicher Ruhm für dich, den Neuvermählten, sein, wenn deine erste
Gattin mit deinen eigenen Söhnen in der Welt betteln geht!« Doch Iason war verhärtet. Er versprach ihr, sie und die
Kinder, mit reichlichem Gelde und Briefen an seine Gastfreunde versehen, zu entlassen. Sie aber verschmähte alles: »Geh,
vermähle dich«, sprach sie; »du wirst eine Hochzeit feiern, die dich schmerzen wird!« Als sie ihren Gemahl verlassen hatte,
reuten sie die letzten Worte wieder, nicht, weil sie anderen Sinnes geworden war, sondern weil sie fürchtete, er möchte ihre
Schritte beobachten und sie an der Ausübung ihres Frevels verhindern. Sie ließ daher um eine zweite Unterredung mit ihm
bitten und sprach zu ihm mit veränderter Miene: »Iason, verzeih mir, was ich gesprochen; der blinde Zorn hat mich verführt,
ich sehe jetzt ein, daß alles, was du getan hast, zu unserm eigenen Besten gereichen soll. Arm und verbannt sind wir
hierhergekommen; du willst durch deine neue Heirat für dich, für deine Kinder, zuletzt auch für mich selbst sorgen. Wenn
sie eine Weile ferne gewesen sind, wirst du deine Söhne zurückberufen, wirst sie teilnehmen lassen an dem Glücke der
Geschwister, die sie erhalten sollen. Kommt herbei, kommt herbei, Kinder, umarmet euren Vater, versöhnet euch mit ihm,
wie ich mich mit ihm versöhnet habe!« Iason glaubte an diese Sinnesänderung und war hocherfreut darüber, er versprach
ihr und den Kindern das Beste; und Medea fing an, ihn noch sicherer zu machen. Sie bat ihn, die Kinder bei sich zu
behalten und sie allein ziehen zu lassen. Damit die neue Gattin und ihr Vater dieses dulde, ließ sie aus ihrer Vorratskammer
köstliche goldene Gewänder holen und reichte sie dem Iason als Brautgeschenk für die Königstochter. Nach einigem
Bedenken ließ dieser sich überreden, und ein Diener ward abgesandt, die Gaben der Braut zu bringen. Aber diese
köstlichen Kleider waren mit Zauberkraft getränkte giftige Gewande, und als Medea heuchlerischen Abschied von ihrem
Gatten genommen hatte, harrte sie von Stunde zu Stunde des Boten, der ihr die Nachricht vom Empfang ihrer Geschenke
bringen sollte. Dieser kam endlich und rief ihr entgegen: »Steig in dein Schiff, Medea, fliehe! fliehe! Deine Feindin und ihr
Vater sind tot. Als deine Söhne mit ihrem Vater das Haus der Braut betraten, freuten wir Diener uns alle, daß die
Zwietracht verschwunden und die Versöhnung vollkommen sei. Die junge Königin empfing deinen Gatten mit heiterem
Blick; als sie aber die Kinder sah, bedeckte sie ihre Augen, wandte das Antlitz ab und verabscheute ihre Gegenwart. Doch
Iason besänftigte ihren Zorn, sprach ein gutes Wort für dich und breitete die Geschenke vor ihr aus. Als sie die herrlichen
Gewande sah, wurde ihr Herz von der Pracht gereizt, es wandte sich, und sie versprach ihrem Bräutigam, in alles zu
willigen. Als dein Gemahl mit den Söhnen sie verlassen hatte, griff sie mit Begierde nach dem Schmuck, legte den
Goldmantel um, setzte den goldenen Kranz sich ins Haar und betrachtete sich vergnügt in einem hellen Spiegel. Dann
durchwandelte sie die Gemächer und freute sich wie ein kindisches Mädchen ihrer Herrlichkeit. Bald aber wechselte das
Schauspiel. Mit verwandelter Farbe, an allen Gliedern zitternd, wankte sie rückwärts, und bevor sie ihren Sitz erreicht
hatte, stürzte sie auf den Boden nieder, erbleichte, begann die Augensterne zu verdrehen, und Schaum trat ihr über den
Mund. Wehklagen ertönte in dem Palaste, die einen Diener eilten zu ihrem Vater, die andern zu ihrem künftigen Gatten.
Inzwischen flammte der verzauberte Kranz auf ihrem Haupte in Feuer auf; Gift und Flamme zehrten an ihr um die Wette;
und als ihr Vater jammernd herbeigestürzt kam, fand er nur noch den entstellten Leichnam der Tochter. Er warf sich in
Verzweiflung auf sie; von dem Gifte des mörderischen Gewandes ergriffen, hat auch er sein Leben geendet. Von Iason
weiß ich nichts.«
Die Erzählung dieser Greuel, statt die Wut Medeas zu dämpfen, entflammte sie vielmehr; und ganz zur Furie der Rachsucht
geworden, rannte sie fort, ihrem Gatten und sich selbst den tödlichsten Schlag zu versetzen. Sie eilte nach der Kammer, wo
ihre Söhne schliefen; denn die Nacht war herbeigekommen. »Waffne dich, mein Herz«, sprach sie unterwegs zu sich selber,
»was zögerst du, das Gräßliche und Notwendige zu vollbringen? Vergiß, Unglückliche, daß es deine Kinder sind, daß du
sie geboren hast. Nur diese eine Stunde vergiß es! Nachher beweine sie dein ganzes Leben lang. Du tust ihnen selbst einen
Dienst. Tötest du sie nicht, so sterben sie von einer feindseligen Hand.«
Als Iason in sein Haus geflogen kam, die Mörderin seiner jungen Braut aufzusuchen und sie seiner Rache zu opfern, scholl
ihm das Jammergeschrei seiner Kinder entgegen, die unter dem Mordstahl bluteten; er trat in die aufgestoßene Kammer
und fand seine Söhne wie Schuldopfer hingewürgt; Medea aber war nicht zu erblicken. Als er in Verzweiflung sein Haus
verließ, hörte er in der Luft ein Geräusch über seinem Haupte. Emporschauend ward er hier die fürchterliche Mörderin
gewahr, wie sie auf einem mit Drachen bespannten Wagen, den ihre Kunst herbeigezaubert hatte, durch die Lüfte
davonfuhr und den Schauplatz ihrer Rache verließ. Iason hatte die Hoffnung verloren, sie für ihren Frevel zu strafen; die
Verzweiflung kam über ihn, der Mord des Absyrtos wachte wieder auf in seiner Seele; er stürzte sich in sein Schwert und
fiel auf der Schwelle seines Hauses.