Burleske Autobiographie


Mark Twain Da zwei oder drei Leute zu verschiedenen Zeiten angedeutet haben, sie würden, wenn ich eine Autobiographie schriebe, diese lesen, falls sie die Muße dazu fänden, so gebe ich schließlich diesem rasenden allgemeinen Verlangen nach und unterbreite hiermit meine Lebensgeschichte.
Einem edlen und altem Hause entstamme ich. Es reicht weit zurück in das Altertum. Der älteste Ahn, von dem die Twains irgendwelche Kunde haben, das war ein Freund der Familie mit Namen Higgins. Das war im elften Jahrhundert, als unsere Sippe in Aberdeen, Grafschaft Cork, in England lebte. Aus welchem Grunde unsere lange Geschlechterfolge statt des Namens Higgins seitdem stets den mütterlichen trug (nur hin und wieder nahm einer spaßeshalber Zuflucht zu einem falschen Namen, um der Narrheit vorzubeugen), ist ein Geheimnis, an das zu rühren keiner von uns je große Lust hatte. Es ist  so etwas wie eine nebelhafte, schöne, romantische Liebesgeschichte und wir tippen nicht daran. So machen es alle alten Familien.
Arthour Twain war ein Mann von beträchtlichem Ansehen - ein Sachwalter der Landstraße aus der Zeit Wiliam Rufus´. Mit ungefähr dreißig Jahren besuchte er eine jener hochfeinen Vergnügungsstätten Englands, namens Newgate, um irgendwas zu besorgen, und kam nicht mehr wieder. Bei seinem Aufenthalt dort starb er plötzlich.
Augustus Twain hat um das Jahr 1160 offenbar ziemlich Furore gemacht. Er steckte immer voller Späße wie selten einer ; gewöhnlich nahm er seinen alten Säbel und schärfte ihn nach, ging in dunkler Nacht an einen geeigneten Ort und stieß den Säbel durch die Leute, die vorbeikamen, weil er sie springen sehen wollte. Er war der geborene Spaßvogel. Doch allmählich trieb er es zu weit, und als er das erstemal dabei erwischt wurde, wie er einen der Betroffenen ausnahm, entfernten die Behörden das eine Ende von ihm und steckten es auf eine hübsche hohe Stelle auf Temple Bar, wo es sich gehenlassen und die Leute betrachten konnte. Keine andere Stelle gefiel ihm je so gut, und an keiner hielt er so lange fest.
Für die nächsten zweihundert Jahre zeigte der Stammbaum der Familie dann eine Folge von Kriegern - edle, hochgemute Burschen, die stets singend in die Schlacht zogen, gleich hinter der Armee, und regelmäßig schreiend herauskamen, gleich vor der Armee.
Damit ist der klägliche Witz des alten toten Froissart vernichtend zurückgewiesen, daß unser Stammbaum nie mehr als einen Ast besaß und das dieser rechtwinklig zur Seite ragte und winters wie sommers Früchte trug.
Im frühen fünfzehnten Jahrhundert haben wir Beau Twain, genannt "der Gelehrte", aufzuweisen. Er schrieb eine wunderschöne Hand. Und er konnte jedermanns Schrift so getreulich nachahmen, daß man sich einfach totlachen mußte, wenn man das sah. Dieses Talent bereitete ihm unsagbare Freude. Später aber ging er einen Vertrag ein, für die Landstraße Steine zu brechen, und diese grobe Arbeit verdarb seine Handschrift. Dennoch genoß er das Leben die ganze Zeit über, die er im Steingeschäft war, was mit unwesentlichen Unterbrechungen etwa zweiundvierzig Jahre währte. Wirklich, er starb in den Sielen. In all diesen langen Jahren wirkte er zu solcher Zufriedenheit, daß ihm die Regierung stets einen neuen Vertrag gab, kaum daß der alte eine Woche ausgelaufen war. Er war das reinste Lieblingskind. Und immer hatten ihn die Zunftgenossen ins Herz geschlossen, und er war ein hervorragendes Mitglied ihrer wohltätigen Geheimgesellschaft, genannt die Kettenbande.  Das Haar trug er immer kurz, er besaß eine Vorliebe für gestreifte Anzüge und starb, betrauert von der Regierung. Das war ein schmerzlicher Verlust für das Land, denn er war in allem so regelmäßig.
Einige Jahre später haben wir den erlauchten John Morgan Twain. Im Jahre 1492 kam er als Passagier mit Kolumbus nach Afrika. Ein mürrisches, unangenehmes Wesen scheint er besessen zu haben. Die ganze Fahrt beschwerte er sich über das Essen und drohte dauernd, an Land zu gehen, wenn es sich nicht ändere. Er wollte frische Alsen. Es zog kaum ein Tag über sein Haupt dahin, an dem er nicht mit erhobener Nase auf dem Schiff herumtrödelte, sich über den Kapitän mokierte und sagte, er glaube nicht, daß Kolumbus wisse, wohin er fahre, oder daß er jemals dort gewesen wäre. Jedes Herz an Bord erbebte bei dem denkwürdigen Ruf "Land in Sicht", nur seines nicht. Er starrte eine Weile durch ein Stück geschwärztes Glas auf den feinen Strich, der in der Ferne auf dem Wasser lag, und sagte dann :"Quatsch, Land - ein Floß ist das!"
Als dieser fragwürdige Passagier an Bord kam, hatte er nichts weiter bei sich als eine alte Zeitung, in die er ein Taschentuch, gezeichnet BG, eine baumwollene Socke, gezeichnet LWC, eine Wollsocke, gezeichnet DF, und ein Nachthemd, gezeichnet OMR, gewickelt hatte. und doch regte er sich während der Reise mehr wegen seines "Koffers" auf und machte mehr Getue damit als alle übrigen Passagiere zusammen. Wenn das Schiff kopflastig war und sich nicht steuern ließ, ging er hin und her und bewegte seinen "Koffer" weiter nach achtern, und dann paßte er auf die Wirkung auf. Wenn das Schiff achtern wegsackte, empfahl er Kolumbus, ein paar Leute abzukommandieren, die "das Gepäck verlagern" sollten. Bei Sturm mußte er geknebelt werden, denn bei seinem Gejammer um den "Koffer" war es den Leuten unmöglich, die Befehle zu verstehen.
Es hatte nicht den Anschein, daß der Mann irgendwelche schwerwiegenden Unziemlichkeiten offen beschuldigt wurde, aber im Logbuch ist als "merkwürdiger Umstand" niedergelegt, daß er sein Gepäck, obwohl er es in Zeitungspapier an Bord brachte, in vier Koffern, einem großen Packkorb für cremefarbenes Wedgwood-Porzellan und ein paar Champagnierkörben an Land schaffte. Als er jedoch zurückkam und in unverschämter, prahlerischer Weise zu verstehen gab, daß ihm verschiedene Sachen fehlten, und er sich daran machte, das Gepäck der anderen Passagiere zu durchsuchen, da war das Maß voll, und man warf ihn über Bord. Lange schauten sie verwundert aus, ob er wieder hochkäme, aber nicht einmal eine Blase zeigte sich auf dem ruhig verebbendem Wasser. Doch während jeder gebannt über die Reling starrte und das Interesse mit jedem Augenblick wuchs, bemerkte man bestürzt, daß das Schiff abtrieb und die Ankerkette schlaff vom Bug hing.
In dem vergilbten alten Logbuch findet man nun folgende seltsame Eintragung: "Alsobald ward kund, daß der lästige Passagier hinabgefahren war zu dem Anker, und er nahm diesen, ging hin und verschacherte ihn den vermaledeiten Wilden aus dem Inneren des Landes und sprach zu ihnen, er habe ihn gefunden, der Strolch."
Doch dieser Vorfahr besaß gute und edle Anlagen, und mit Stolz erinnern wir uns daran, daß er der erste Weiße war, der sich für das Werk interessierte, die Indianer zu zivilisieren und auf einen höheren Stand zu heben. Er baute ein geräumiges Gefängnis und stellte einen Galgen auf, und bis zu seinem letzten Tag behauptete er mit Genugtuung von sich, daß er einen zurückhaltenderen und erhebenderen Einfluß auf die Indianer ausgeübt habe als alle anderen Reformer, die jemals unter ihnen gewirkt hatten. An dieser Stelle wird die Chronik weniger offenherzig und gesprächig und schließt abrupt mit der Mitteilung, der alte Seereisende sei sich ansehen gegangen, wie der Galgen beim ersten Weißen in Tätigkeit trat, der in Amerika gehängt wurde, und als er dort war, habe er Verletzungen erlitten, die zu seinem Tode führten.
Der Urenkel des "Reformers" blühte und gedieh um sechzehnhundertsoundsoviel und ist in unseren Annalen als "der alte Admiral" bekannt, obgleich er in der Geschichte andere Titel führt. Lange Zeit befehligte er eine Flotte schneller Schiffe, gut bewaffnet und bemannt, und leistete große Dienste, indem er Handelsschiffe zur Eile antrieb. Schiffe, denen er folgte und auf die er sein Adlerauge richtete, holten über den Ozean regelmäßig eine gute Zeit heraus. Wenn jedoch ein Schiff trotz allem, was er unternahm, immer noch bummelte, so wuchs sein Unwille, bis er sich nicht mehr beherrschen konnte - und dann nahm er das Schiff mit zu sich nach Hause und behütete es sorglichst, in der Erwartung, daß die Besitzer es holen kämen, aber sie kamen nie. Und er versuchte nun immer, den Matrosen des Schiffes die Trägheit und Faulheit auszutreiben, indem er sie zwang, kräftigende Leibesübungen zu machen und ein Bad zu nehmen. Das nannte er "über Bord springen". Allen Zöglingen gefiel das. Jedenfalls hatten sie nie etwas daran auszusetzen, nachdem sie es probiert hatten. Wenn sich die Besitzer zu viel Zeit ließen, ihre Schiffe abzuholen, Zündete der Admiral sie an, damit das Versicherungsgeld nicht verloren ging. In der Fülle seiner Jahre und Ehren wurde dem prächtigen alten Seebären schließlich der Hals abgeschnitten. Bis zu ihrem Tode glaubte die arme gebrochene Witwe, daß man ihn hätte wieder zum Leben erwecken können, wenn man ihn eine Viertelstunde früher abgeschnitten hätte.
Charles Henry Twain lebte in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhundertsund war ein eifriger, verdienter Missionar. Sechzehntausend Südseeinsulaner bekehrte er und brachte ihnen bei, daß ein Hundezahnhalsband und eine Brille als Bekleidung nicht ausreichten, wenn man zum Gottesdienst kommt. Seine arme Gemeinde liebte ihn über alle Maßen, und als sein Leichenbegräbnis vorüber war, erhoben sie sich alle gemeinsam (und gingen aus der Gaststätte) und sagten mit Tränen in den Augen zueinander, daß er ein guter, zarter Missionar war, und sie wünschten, es wäre noch etwas von ihm da.
Pah - Go - To - Wah - Wah - Pukketekeewis  (der Mächtige - Jäger - mit - dem - Schweinsauge - Twain) zierte die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts und half General Braddock mit ganzem Herzen, dem Unterdrücker Washington zu widerstehen. Es war dieser unser Ahn, der hinter einem Baum hervor siebzehnmal auf unseren Washington feuerte. Soweit stimmt der schöne abenteuerliche Bericht in den belehrenden Märchenbüchern ; wenn aber der Bericht dann weitergeht und es heißt, daß der von Ehrfurcht ergriffene Wilde Geist bei der siebzehnten Ladung feierlich sagte, dieser Mann sei vom großen Geist zu einer großartigen Sendung auserlesen und er wage nicht, die frevlerische Büchse noch einmal gegen ihn zu erheben, schwächt der Bericht ernstlich die geschichtliche Wahrheit ab. Folgendes hat er nämlich gesagt :"Hat - hick - hat keinen Zweck. Der Mann ist so besoffen, der kann nich lange genug stillstehen, bis ´n einer trifft. Ich - hick - ich kann´s mir nich leisten, mehr Munizjohn auf ihn zu verplempern."
Deshalb also hörte er beim siebzehnten Schuß auf, und das war ja auch ein guter, einfacher, nüchterner Grund - ein Grund, der sich und durch seinen beredeten, überzeugenden Beigeschmack von Wahrscheinlichkeit, den er besitzt, leicht anbietet.
Die Darstellung des Märchenbuches hat mir immer wieder gefallen, nur störte mich dabei stets die böse Ahnung, daß jeder Indianer, der bei Braddocks Niederlage ein paarmal auf einen Soldaten feuerte (im Laufe eines Jahrhunderts wird aus zwei ganz leicht siebzehn) und ihn verfehlte, voreilig den Schluß zog, dieser Soldat sei vom Großen Geist zu einer großartigen Sendung auserlesen ; und deshalb habe ich irgendwie befürchtet, der einzige Grund, weshalb man sich im Falle Washingtons daran erinnert und es bei den anderen vergessen ist, liegt darin, daß sich die Vorhersage bei ihm erfüllte und bei den anderen nicht. Es gibt nicht genug Bücher auf der Welt, um die Prophezeiungen zu fassen, die Indianer und andere Unbefugte gemacht haben; aber den Bericht aller Prophezeiungen, die in Erfüllung gegangen sind, kann ein Mensch in den Manteltaschen mit sich herumtragen.
Nebenbei möchte ich hier bemerken, daß gewisse meiner Vorfahren in der Geschichte unter ihrem falschen Namen so gründlich bekannt sind, daß ich glaube, es lohnt sich nicht, bei ihnen zu verweilen oder sie der Reihenfolge ihrer Geburt nach zu benennen. Unter ihnen zu erwähnen wären Richard Brinsley Twain alias Guy Fawkes, John Wentworth Twain alias Sixteen - String Jack, William Hogarth Twain alias Jack Sheppard, Ananias Twain alias Baron von Münchhausen, John George Twain alias Captain Kydd ; dann sind da noch George Francis Twain, Tom Pepper, Nebukadnezar und Bileams Eselin - die gehören alle zu unserer Familie, aber zu einem Zweig, der sich von der ehrbaren direkten Linie ein bißchen entfernt hat, zu einer Seitenlinie also, deren Mitglieder sich vom alten Stamm hauptsächlich dadurch unterscheiden, daß sie, um Berühmtheit zu erlangen, nach der wir immer getrachtet und gehungert haben, sich die erbärmliche Gewohnheit zu eigen machten, ins Gefängnis zu wandern, statt sich hängen zu lassen.
Es ist nicht gut, wenn man seine Autobiographie schreibt, die Ahnenreihe zu nahe an die eigene Zeit heran zu verfolgen - das Sicherste ist, von seinem Urgroßvater nur verschwommen zu reden und von da einen Sprung zu sich selbst zu machen, was ich nun tue.
Ich kam ohne Zähne zur Welt - damit war Richard III. besser dran als ich ; aber ich kam ebenso ohne Buckel zur Welt, und darin war ich besser dran als er. Meine Eltern waren weder sehr arm noch auffallend ehrlich.
Aber jetzt kommt mir ein Gedanke. Meine eigene Lebensgeschichte würde sich gegen die meiner Vorfahren so zahm ausnehmen, daß es nur klug ist, sie ungeschrieben zu lassen, bis ich gehängt werde. Wenn einige andere Biographien, die ich gelesen habe, bei den Vorfahren stehengeblieben wären, sich etwas ähnlich ereignet hätte, wäre das für das Leserpuplikum eine treffliche Sache gewesen. Was halten Sie davon?