Burleske Autobiographie
Da zwei oder drei Leute zu verschiedenen Zeiten angedeutet haben, sie würden,
wenn ich eine Autobiographie schriebe, diese lesen, falls sie die Muße
dazu fänden, so gebe ich schließlich diesem rasenden allgemeinen
Verlangen nach und unterbreite hiermit meine Lebensgeschichte.
Einem edlen und altem Hause entstamme ich. Es reicht weit zurück
in das Altertum. Der älteste Ahn, von dem die Twains irgendwelche
Kunde haben, das war ein Freund der Familie mit Namen Higgins. Das war
im elften Jahrhundert, als unsere Sippe in Aberdeen, Grafschaft Cork, in
England lebte. Aus welchem Grunde unsere lange Geschlechterfolge statt
des Namens Higgins seitdem stets den mütterlichen trug (nur hin und
wieder nahm einer spaßeshalber Zuflucht zu einem falschen Namen,
um der Narrheit vorzubeugen), ist ein Geheimnis, an das zu rühren
keiner von uns je große Lust hatte. Es ist so etwas wie eine
nebelhafte, schöne, romantische Liebesgeschichte und wir tippen nicht
daran. So machen es alle alten Familien.
Arthour Twain war ein Mann von beträchtlichem Ansehen - ein Sachwalter
der Landstraße aus der Zeit Wiliam Rufus´. Mit ungefähr
dreißig Jahren besuchte er eine jener hochfeinen Vergnügungsstätten
Englands, namens Newgate, um irgendwas zu besorgen, und kam nicht mehr
wieder. Bei seinem Aufenthalt dort starb er plötzlich.
Augustus Twain hat um das Jahr 1160 offenbar ziemlich Furore gemacht.
Er steckte immer voller Späße wie selten einer ; gewöhnlich
nahm er seinen alten Säbel und schärfte ihn nach, ging in dunkler
Nacht an einen geeigneten Ort und stieß den Säbel durch die
Leute, die vorbeikamen, weil er sie springen sehen wollte. Er war der geborene
Spaßvogel. Doch allmählich trieb er es zu weit, und als er das
erstemal dabei erwischt wurde, wie er einen der Betroffenen ausnahm, entfernten
die Behörden das eine Ende von ihm und steckten es auf eine hübsche
hohe Stelle auf Temple Bar, wo es sich gehenlassen und die Leute betrachten
konnte. Keine andere Stelle gefiel ihm je so gut, und an keiner hielt er
so lange fest.
Für die nächsten zweihundert Jahre zeigte der Stammbaum der
Familie dann eine Folge von Kriegern - edle, hochgemute Burschen, die stets
singend in die Schlacht zogen, gleich hinter der Armee, und regelmäßig
schreiend herauskamen, gleich vor der Armee.
Damit ist der klägliche Witz des alten toten Froissart vernichtend
zurückgewiesen, daß unser Stammbaum nie mehr als einen Ast besaß
und das dieser rechtwinklig zur Seite ragte und winters wie sommers Früchte
trug.
Im frühen fünfzehnten Jahrhundert haben wir Beau Twain, genannt
"der Gelehrte", aufzuweisen. Er schrieb eine wunderschöne Hand. Und
er konnte jedermanns Schrift so getreulich nachahmen, daß man sich
einfach totlachen mußte, wenn man das sah. Dieses Talent bereitete
ihm unsagbare Freude. Später aber ging er einen Vertrag ein, für
die Landstraße Steine zu brechen, und diese grobe Arbeit verdarb
seine Handschrift. Dennoch genoß er das Leben die ganze Zeit über,
die er im Steingeschäft war, was mit unwesentlichen Unterbrechungen
etwa zweiundvierzig Jahre währte. Wirklich, er starb in den Sielen.
In all diesen langen Jahren wirkte er zu solcher Zufriedenheit, daß
ihm die Regierung stets einen neuen Vertrag gab, kaum daß der alte
eine Woche ausgelaufen war. Er war das reinste Lieblingskind. Und immer
hatten ihn die Zunftgenossen ins Herz geschlossen, und er war ein hervorragendes
Mitglied ihrer wohltätigen Geheimgesellschaft, genannt die Kettenbande.
Das Haar trug er immer kurz, er besaß eine Vorliebe für gestreifte
Anzüge und starb, betrauert von der Regierung. Das war ein schmerzlicher
Verlust für das Land, denn er war in allem so regelmäßig.
Einige Jahre später haben wir den erlauchten John Morgan Twain.
Im Jahre 1492 kam er als Passagier mit Kolumbus nach Afrika. Ein mürrisches,
unangenehmes Wesen scheint er besessen zu haben. Die ganze Fahrt beschwerte
er sich über das Essen und drohte dauernd, an Land zu gehen, wenn
es sich nicht ändere. Er wollte frische Alsen. Es zog kaum ein Tag
über sein Haupt dahin, an dem er nicht mit erhobener Nase auf dem
Schiff herumtrödelte, sich über den Kapitän mokierte und
sagte, er glaube nicht, daß Kolumbus wisse, wohin er fahre, oder
daß er jemals dort gewesen wäre. Jedes Herz an Bord erbebte
bei dem denkwürdigen Ruf "Land in Sicht", nur seines nicht. Er starrte
eine Weile durch ein Stück geschwärztes Glas auf den feinen Strich,
der in der Ferne auf dem Wasser lag, und sagte dann :"Quatsch, Land - ein
Floß ist das!"
Als dieser fragwürdige Passagier an Bord kam, hatte er nichts
weiter bei sich als eine alte Zeitung, in die er ein Taschentuch, gezeichnet
BG, eine baumwollene Socke, gezeichnet LWC, eine Wollsocke, gezeichnet
DF, und ein Nachthemd, gezeichnet OMR, gewickelt hatte. und doch regte
er sich während der Reise mehr wegen seines "Koffers" auf und machte
mehr Getue damit als alle übrigen Passagiere zusammen. Wenn das Schiff
kopflastig war und sich nicht steuern ließ, ging er hin und her und
bewegte seinen "Koffer" weiter nach achtern, und dann paßte er auf
die Wirkung auf. Wenn das Schiff achtern wegsackte, empfahl er Kolumbus,
ein paar Leute abzukommandieren, die "das Gepäck verlagern" sollten.
Bei Sturm mußte er geknebelt werden, denn bei seinem Gejammer um
den "Koffer" war es den Leuten unmöglich, die Befehle zu verstehen.
Es hatte nicht den Anschein, daß der Mann irgendwelche schwerwiegenden
Unziemlichkeiten offen beschuldigt wurde, aber im Logbuch ist als "merkwürdiger
Umstand" niedergelegt, daß er sein Gepäck, obwohl er es in Zeitungspapier
an Bord brachte, in vier Koffern, einem großen Packkorb für
cremefarbenes Wedgwood-Porzellan und ein paar Champagnierkörben an
Land schaffte. Als er jedoch zurückkam und in unverschämter,
prahlerischer Weise zu verstehen gab, daß ihm verschiedene Sachen
fehlten, und er sich daran machte, das Gepäck der anderen Passagiere
zu durchsuchen, da war das Maß voll, und man warf ihn über Bord.
Lange schauten sie verwundert aus, ob er wieder hochkäme, aber nicht
einmal eine Blase zeigte sich auf dem ruhig verebbendem Wasser. Doch während
jeder gebannt über die Reling starrte und das Interesse mit jedem
Augenblick wuchs, bemerkte man bestürzt, daß das Schiff abtrieb
und die Ankerkette schlaff vom Bug hing.
In dem vergilbten alten Logbuch findet man nun folgende seltsame Eintragung:
"Alsobald ward kund, daß der lästige Passagier hinabgefahren
war zu dem Anker, und er nahm diesen, ging hin und verschacherte ihn den
vermaledeiten Wilden aus dem Inneren des Landes und sprach zu ihnen, er
habe ihn gefunden, der Strolch."
Doch dieser Vorfahr besaß gute und edle Anlagen, und mit Stolz
erinnern wir uns daran, daß er der erste Weiße war, der sich
für das Werk interessierte, die Indianer zu zivilisieren und auf einen
höheren Stand zu heben. Er baute ein geräumiges Gefängnis
und stellte einen Galgen auf, und bis zu seinem letzten Tag behauptete
er mit Genugtuung von sich, daß er einen zurückhaltenderen und
erhebenderen Einfluß auf die Indianer ausgeübt habe als alle
anderen Reformer, die jemals unter ihnen gewirkt hatten. An dieser Stelle
wird die Chronik weniger offenherzig und gesprächig und schließt
abrupt mit der Mitteilung, der alte Seereisende sei sich ansehen gegangen,
wie der Galgen beim ersten Weißen in Tätigkeit trat, der in
Amerika gehängt wurde, und als er dort war, habe er Verletzungen erlitten,
die zu seinem Tode führten.
Der Urenkel des "Reformers" blühte und gedieh um sechzehnhundertsoundsoviel
und ist in unseren Annalen als "der alte Admiral" bekannt, obgleich er
in der Geschichte andere Titel führt. Lange Zeit befehligte er eine
Flotte schneller Schiffe, gut bewaffnet und bemannt, und leistete große
Dienste, indem er Handelsschiffe zur Eile antrieb. Schiffe, denen er folgte
und auf die er sein Adlerauge richtete, holten über den Ozean regelmäßig
eine gute Zeit heraus. Wenn jedoch ein Schiff trotz allem, was er unternahm,
immer noch bummelte, so wuchs sein Unwille, bis er sich nicht mehr beherrschen
konnte - und dann nahm er das Schiff mit zu sich nach Hause und behütete
es sorglichst, in der Erwartung, daß die Besitzer es holen kämen,
aber sie kamen nie. Und er versuchte nun immer, den Matrosen des Schiffes
die Trägheit und Faulheit auszutreiben, indem er sie zwang, kräftigende
Leibesübungen zu machen und ein Bad zu nehmen. Das nannte er "über
Bord springen". Allen Zöglingen gefiel das. Jedenfalls hatten sie
nie etwas daran auszusetzen, nachdem sie es probiert hatten. Wenn sich
die Besitzer zu viel Zeit ließen, ihre Schiffe abzuholen, Zündete
der Admiral sie an, damit das Versicherungsgeld nicht verloren ging. In
der Fülle seiner Jahre und Ehren wurde dem prächtigen alten Seebären
schließlich der Hals abgeschnitten. Bis zu ihrem Tode glaubte die
arme gebrochene Witwe, daß man ihn hätte wieder zum Leben erwecken
können, wenn man ihn eine Viertelstunde früher abgeschnitten
hätte.
Charles Henry Twain lebte in der zweiten Hälfte des siebzehnten
Jahrhundertsund war ein eifriger, verdienter Missionar. Sechzehntausend
Südseeinsulaner bekehrte er und brachte ihnen bei, daß ein Hundezahnhalsband
und eine Brille als Bekleidung nicht ausreichten, wenn man zum Gottesdienst
kommt. Seine arme Gemeinde liebte ihn über alle Maßen, und als
sein Leichenbegräbnis vorüber war, erhoben sie sich alle gemeinsam
(und gingen aus der Gaststätte) und sagten mit Tränen in den
Augen zueinander, daß er ein guter, zarter Missionar war, und sie
wünschten, es wäre noch etwas von ihm da.
Pah - Go - To - Wah - Wah - Pukketekeewis (der Mächtige
- Jäger - mit - dem - Schweinsauge - Twain) zierte die Mitte des achtzehnten
Jahrhunderts und half General Braddock mit ganzem Herzen, dem Unterdrücker
Washington zu widerstehen. Es war dieser unser Ahn, der hinter einem Baum
hervor siebzehnmal auf unseren Washington feuerte. Soweit stimmt der schöne
abenteuerliche Bericht in den belehrenden Märchenbüchern ; wenn
aber der Bericht dann weitergeht und es heißt, daß der von
Ehrfurcht ergriffene Wilde Geist bei der siebzehnten Ladung feierlich sagte,
dieser Mann sei vom großen Geist zu einer großartigen Sendung
auserlesen und er wage nicht, die frevlerische Büchse noch einmal
gegen ihn zu erheben, schwächt der Bericht ernstlich die geschichtliche
Wahrheit ab. Folgendes hat er nämlich gesagt :"Hat - hick - hat keinen
Zweck. Der Mann ist so besoffen, der kann nich lange genug stillstehen,
bis ´n einer trifft. Ich - hick - ich kann´s mir nich leisten,
mehr Munizjohn auf ihn zu verplempern."
Deshalb also hörte er beim siebzehnten Schuß auf, und das
war ja auch ein guter, einfacher, nüchterner Grund - ein Grund, der
sich und durch seinen beredeten, überzeugenden Beigeschmack von Wahrscheinlichkeit,
den er besitzt, leicht anbietet.
Die Darstellung des Märchenbuches hat mir immer wieder gefallen,
nur störte mich dabei stets die böse Ahnung, daß jeder
Indianer, der bei Braddocks Niederlage ein paarmal auf einen Soldaten feuerte
(im Laufe eines Jahrhunderts wird aus zwei ganz leicht siebzehn) und ihn
verfehlte, voreilig den Schluß zog, dieser Soldat sei vom Großen
Geist zu einer großartigen Sendung auserlesen ; und deshalb habe
ich irgendwie befürchtet, der einzige Grund, weshalb man sich im Falle
Washingtons daran erinnert und es bei den anderen vergessen ist, liegt
darin, daß sich die Vorhersage bei ihm erfüllte und bei den
anderen nicht. Es gibt nicht genug Bücher auf der Welt, um die Prophezeiungen
zu fassen, die Indianer und andere Unbefugte gemacht haben; aber den Bericht
aller Prophezeiungen, die in Erfüllung gegangen sind, kann ein Mensch
in den Manteltaschen mit sich herumtragen.
Nebenbei möchte ich hier bemerken, daß gewisse meiner Vorfahren
in der Geschichte unter ihrem falschen Namen so gründlich bekannt
sind, daß ich glaube, es lohnt sich nicht, bei ihnen zu verweilen
oder sie der Reihenfolge ihrer Geburt nach zu benennen. Unter ihnen zu
erwähnen wären Richard Brinsley Twain alias Guy Fawkes, John
Wentworth Twain alias Sixteen - String Jack, William Hogarth Twain alias
Jack Sheppard, Ananias Twain alias Baron von Münchhausen, John George
Twain alias Captain Kydd ; dann sind da noch George Francis Twain, Tom
Pepper, Nebukadnezar und Bileams Eselin - die gehören alle zu unserer
Familie, aber zu einem Zweig, der sich von der ehrbaren direkten Linie
ein bißchen entfernt hat, zu einer Seitenlinie also, deren Mitglieder
sich vom alten Stamm hauptsächlich dadurch unterscheiden, daß
sie, um Berühmtheit zu erlangen, nach der wir immer getrachtet und
gehungert haben, sich die erbärmliche Gewohnheit zu eigen machten,
ins Gefängnis zu wandern, statt sich hängen zu lassen.
Es ist nicht gut, wenn man seine Autobiographie schreibt, die Ahnenreihe
zu nahe an die eigene Zeit heran zu verfolgen - das Sicherste ist, von
seinem Urgroßvater nur verschwommen zu reden und von da einen Sprung
zu sich selbst zu machen, was ich nun tue.
Ich kam ohne Zähne zur Welt - damit war Richard III. besser dran
als ich ; aber ich kam ebenso ohne Buckel zur Welt, und darin war ich besser
dran als er. Meine Eltern waren weder sehr arm noch auffallend ehrlich.
Aber jetzt kommt mir ein Gedanke. Meine eigene Lebensgeschichte würde
sich gegen die meiner Vorfahren so zahm ausnehmen, daß es nur klug
ist, sie ungeschrieben zu lassen, bis ich gehängt werde. Wenn einige
andere Biographien, die ich gelesen habe, bei den Vorfahren stehengeblieben
wären, sich etwas ähnlich ereignet hätte, wäre das
für das Leserpuplikum eine treffliche Sache gewesen. Was halten Sie
davon?